Roboter schrauben Autos zusammen, melken Kühe und entschärfen Bomben. Doch die Ingenieure wollen mehr: Sie verleihen den Maschinen eine Persönlichkeit und schleusen sie in unseren Alltag ein.
Ein wuchtiges Fahrzeug rollt auf das kleine Mädchen zu. Der Firmenleiter erkennt die Gefahr und fordert die Mitarbeiter auf zu helfen. Doch sie reagieren zu langsam. Robbie hingegen handelt rasch. Er verlässt seinen Posten am Fließband, rast durch die Roboterfabrik, schnappt sich Gloria und bringt sie in Sicherheit. Robbie kennt das Mädchen. Er war einst ihr Babysitter. Glorias Eltern hatten ihn ausgemustert, weil Roboter in der Gesellschaft einen schlechten Ruf hatten. Für Robbie bedeutet die Rettung ein Happy End: Denn er darf künftig wieder bei der Familie leben.
Die Szene stammt aus der Kurzgeschichte „Robbie“ von Isaac Asimov. Sie führt uns die Konflikte zwischen Menschen und Robotern vor Augen: Einerseits sind wir fasziniert von den Fähigkeiten der Maschinen. Andererseits irritiert uns die Vorstellung, dass ein Roboter mindestens genauso gut denken, handeln und fühlen soll wie wir. Und davon sind wir längst nicht mehr so weit entfernt wie vor etwa 70 Jahren, als Asimov die Geschichte schrieb. Die Roboterinvasion hat bereits begonnen.
5.100 Melkroboter sind im Jahr 2013 weltweit verkauft worden und fast genau so viele Feldroboter, die Äcker bestellen und Ernten einfahren. Das Militär kaufte im gleichen Jahr 9.500 Roboter, um sie etwa Bomben entschärfen zu lassen. Vorreiter der Robotisierung ist aber die Automobilbranche: Dort verschweißen fast ausschließlich Roboterarme die gepressten Blechteile und ziehen die Schrauben an. Der Lack wird von Hochgeschwindigkeitsrobotern aufgetragen, die sofort erkennen, ob die Farbe richtig verteilt ist, und die Dosierung in Echtzeit anpassen. Andere Roboter greifen dank moderner Bilderkennung zielsicher nach den richtigen Bauteilen, auch wenn sie wild verstreut auf einem Fließband liegen.
Roboter arbeiten pausenlos
Solche Fähigkeiten kommen nicht nur in der Autoindustrie gut an: Die taiwanesische Firma Foxconn, die Hardware für Apple, Microsoft, Google und Sony produziert, plant 10.000 Roboter in den Fertigungshallen einzusetzen. Jeder einzelne kostet zwischen 15.000 und 20.000 Euro. Die Investition dürfte sich trotz des hohen Preises lohnen: Roboter arbeiten nicht nur sicher, präzise und pausenlos. Im Gegensatz zu klassischen Industrieanlagen sind sie inzwischen so flexibel, dass sie auch maßgeschneiderte Kundenwünsche realisieren können.
Die Robotisierung, die einerseits für Industrie und Konsumenten eine große Chance ist, könnte andererseits wie eine Lawine über den Arbeitsmarkt fegen und die Gesellschaft vor große Probleme stellen. Laut einer Studie der Oxford University aus dem Jahr 2013 können in Zukunft etwa 700 derzeit an Menschen vergebene Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden. Damit wären in den USA 47 Prozent der Arbeitsplätze in Gefahr. Bei der International Federation of Robotics (IFR) sieht man das anders. Laut dem Industrieverband können Roboter zwar Arbeitsplätze wegnehmen, aber auch neue schaffen. Laut der IRF kreierten Roboter bis 2011 etwa drei Millionen Arbeitsplätze – und in den kommenden Jahren soll eine weitere Million hinzukommen.
Doch die Roboter nehmen uns nicht nur Arbeit in den Fabriken ab, sie erobern im Alltag sogar unsere Herzen. Im Juli begann Hitchbot, ein recht simpler Roboter, der wie eine Mülltonne aussieht, eine Reise per Anhalter durch Kanada. Ein Forscherteam der Ryerson University in Toronto stellte Hitchbot an den Straßenrand und spekulierte darauf, dass er mitgenommen wird. Sie hatten dem Roboter eine Persönlichkeit verpasst: Er wirkt in Gesprächen naiv, weil er die menschliche Sprache gerade erst lerne. Der Versuch klappte. Die Fahrer nahmen den Roboter mit. Ein Fahrer setzte ihn über Nacht sogar auf seine Veranda, damit Hitchbot die Aussicht genießen konnte. Seine Erlebnisse teilte der Roboter per Twitter, Instagram und Facebook mit seinen Fans.
Jibo erzählt Kindern auch Gute-Nacht-Geschichten
Die Forscher wollten mit dem Versuch der Frage nachgehen, in welchen Lebenssituationen wir mit Robotern zurechtkommen. Bisher war es meist so, dass Ingenieure Roboter für bestimmte Aufgaben einsetzten, um zu schauen, wie sie auf die Menschen wirken. Hitchbot hat bewiesen, dass trotz der Angst um Arbeitsplätze und der Furcht vor Überwachungsdrohnen Roboter durchaus Sympathien in uns wecken – und wir geneigt sind, sie zu vermenschlichen.
Viele Roboter sind Forschungsprojekte. In einer häuslichen Umgebung kommen sie bislang nur dann klar, wenn sie überschaubare Aufgaben erledigen wie etwa Staub saugen. Doch Cynthia Breazeal, Professorin am Massachusetts Institute of Technology, plant mit dem Roboter Jibo den ersten familientauglichen Roboter auf den Markt zu bringen – als gute Seele im Haushalt. Jibo sieht ein bisschen aus wie eine Schreibtischlampe. Er schaut seinem Herrchen mit seinem schwenkenden Kopf hinterher und erinnert an wichtige Termine, erzählt Kindern unter der Bettdecke Gute-Nacht-Geschichten und knipst Fotos von Gästen auf Geburtstagspartys. Er wärmt die Heizung vor und bestellt das Lieblingsgericht beim Chinesen, bevor man abends nach Hause kommt.
Solche sozialen Roboter sollen auch zunehmend in Seniorenheimen eingesetzt werden, um Pflegekräfte bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Die US-Soziologin Sherry Turkle hat Ingenieure begleitet, die den Roboter Nursebot im Seniorenheim präsentiert haben. Nursebot ist dort durch die Flure gerollt und fragte die Senioren beispielsweise, ob sie einen Snack haben möchten. Die Senioren waren beeindruckt: Sie tätschelten den Kopf des Roboters und gaben später an, dass sie sich durch das Gespräch mit dem Roboter weniger einsam gefühlt hätten.
Mit Maschinen über Gefühle sprechen
Turkle gibt jedoch zu bedenken, dass sich die Senioren vielleicht über die Roboter freuten, weil sie sonst gar keine Interaktion gehabt hätten. Jedoch würden Senioren kaum einen Roboter einem Menschen vorziehen. Ein ständiger Kontakt verbessere jedoch die Beziehung zu den Maschinen. „Wenn man mit einem Roboter ständig über seine Gefühle spricht, gewöhnt man sich an das reduzierte emotionale Spektrum der Maschine“, schreibt Turkle in ihrem Buch „Verloren unter 100 Freunden“. Sie trifft eine düstere Prognose: „Während wir lernen, aus Robotern das Bestmögliche herauszuholen, verringern wir womöglich unsere Erwartungen an jedwede andere Beziehung, einschließlich derjenigen zu einem anderen Menschen.“
Bei allen Vorteilen, die Roboter mit ihren Fähigkeiten und ihrer ständigen Verfügbarkeit mit sich bringen, ist noch nicht ausreichend erforscht, was dabei verloren gehen könnte. Ein Fünftklässler, der über Roboter als Babysitter und Betreuer für Senioren nachdachte, beeindruckte Turkle mit dem Satz: „Haben wir keine Menschen für diese Jobs?“
Dieser Text erscheint in „Das Netz 2014/2015 – Jahresrückblick Netzpolitik“. Das Magazin versammelt mehr als 70 Autoren und Autorinnen, die einen Einblick geben, was 2014 im Netz passiert ist und was 2015 wichtig werden wird. Bestellen können Sie „Das Netz 2014/2015“ bei iRights.Media.