Was passiert, wenn die Geschäftsmodelle aus dem Digitalen ins Analoge herüberschwappen.
„Vielen Dank für Ihren Besuch und für Ihre interessanten Gespräche“, sagt unser Kellner. Er gibt uns den Beleg, den sein digitales Gerät, eine Art mobiler Bedienassistent, kurz zuvor ausdruckte. Er lächelt irgendwie so vieldeutig, ja, regelrecht überlegen. Wir nehmen unsere Jacken. Der Abend war nett, das Essen okay, wir haben uns gut unterhalten und – Moment: Hat der eben gesagt: „Vielen Dank für Ihre interessanten Gespräche“? Wie meint er das eigentlich?
„Hey, Freundchen, hör mal … “, will ich auf den Kellner zu, da hält mich meine Begleitung zurück. „Bleib ruhig. Ich hab’ mir schon gedacht, dass du es übersiehst. Aber lies mal hier“, auf einen großen Aushang, DIN A3, unter der Tafel mit den Tagesangeboten hinweisend.
Die Nutzungsbedingungen. Ich überfliege und lese: „Wir verwenden alle Inhalte aufgezeichneter und gespeicherter Gespräche und Bilder für die Weitergabe an Werbepartner und zum Zwecke weiterer Auswertungen.“
„Der Wirt hat uns fotografiert und unser Gespräch aufgenommen?“
„Nicht ganz“, sagt meine Begleitung. „Er hat das neue ‚Places‘ installiert. Unsere Unterhaltung wird gerade transkribiert. Die Fehlerrate bei Spracherkennungs-Software liegt unter 0,05 Prozent. Wesentlich kniffliger ist die Ent-Intimisierung unserer Unterhaltung, dafür braucht es sehr gute linguistische Algorithmen, die den Wortschatz …“
„Was redest du da: ‚Ent-Intimisierung‘ unserer Unterhaltung, deren Inhalte der Wirt benutzen darf, …“
„Naja, klar, wegen der strengen deutschen Datenschutzbestimmungen sind die Läden hier rechtlich gezwungen, EIF einzusetzen, also diese Ent-Intimisierungs-Filter. Zum Glück, kann ich nur sagen – denn diese Klausel hat praktisch unser Start-up gerettet. Du weißt ja, unser Lingumorph, diese nette kleine App zum sprachlichen Verzerren von Kurztexten, hat sich zwar anfangs gut verkauft, aber als dann … “.
Ich unterbreche: „Jetzt hör doch mal auf. Wer gibt diesem Gastwirt das Recht, uns zu filmen, uns zu belauschen?“
„Na, das warst du selbst. Als du die Bestellung angeklickt hast.“
Der Kellner hatte uns sein Digital-Werkzeug hingehalten, auf dem Bildschirm waren sehr übersichtlich alle Getränke und Speisen verzeichnet, für die wir uns entschieden hatten. Gute Sache, hatte ich noch gedacht, so lassen sich Missverständnisse beim Bestellen vermeiden. Unter der Bestell-Liste war ein Satz sichtbar, der begann mit: „Hiermit bestätige ich, dass ich die folgenden … “. Ich hatte nicht zu Ende gelesen. Ich würde durch das Häkchen im Kästchen „der Bestellung zustimmen“, hatte der Kellner kurz erklärt – oder hatte er doch „den Bedingungen“ gesagt?
„Mit diesem Häkchen hast du zugestimmt, dass hier alles gespeichert wird, was du sagst, was du machst, was du isst. Außer die intimen Sachverhalte, die unsere Software … “
„OK, schon gut, E – I – F, ich hab’s mir gemerkt. Sag mir lieber, wieso ein Restaurant das alles macht, was wollen die mit den ganzen Texten und Bildern und Filmen von ihren Gästen?“
„Guten Morgen, wo warst du in den letzten zwei Jahren, seit Facebook an die Börse gegangen ist? Wenn nahezu alle potenziell erreichbaren Menschen einen Facebook-Account haben, dann muss das Wachstum des Unternehmens aus der Vermehrung des Rohstoffs kommen. Wenn die Menschen aber in den digitalen Lebensräumen zu wenig abbilden, zu wenig davon eintragen – und zwingen kann man dazu ja noch niemanden – dann muss Facebook eben anders nach seinem Rohstoff schürfen.”
Klar, denke ich. Cafés, Kneipen, Restaurants und Clubs sind die ideale Verlängerung des Facebook-Geschäftmodells. Man trifft sich, man redet. „Und wer bereit ist, Facebook beim Rohstoff-Schürfen zu helfen, erhält Provision?“
„Ja, gekoppelt an das aufgezeichnete Volumen und an die erfolgreiche Verwertung der Inhalte. Pro Person nicht viel, aber es läppert sich.“
Ich sehe den Begriff „Gastwirtschaft“ plötzlich mit anderen Augen. Ich gehe zum Eingang des Restaurants zurück, blicke in die Vitrine mit der Speisekarte. Das markante weiße „f“ auf blauem Grund, direkt neben den Logos der Kreditkarten.
„Komm, lass uns zusammen ein Taxi nehmen“, sage ich. Ein paar Minuten später hält ein dunkelblauer Wagen, wir steigen ein. Der Fahrer dreht sich auch schon um und fragt nach unserem Fahrtziel. „Oh, gut“, freut er sich, „wirtte schöne lange Fahrte. Ihr beide habte bestimmt ganz viel zu erzähle, viiiiiieeeeeel zu erzähle?“ Er hält uns ein Display entgegen und bittet, das Fahrtziel zu bestätigen.
Henry Steinhau arbeitet als freier Medien-Journalist und Autor in Berlin und gehört zur Redaktion von iRights.info. Veröffentlichungen in iRights.info, Medium Magazin, PUBLIK, Blickpunkt:Film, Annual Multimedia und weiteren. Zudem ist er tätig als Vortrags-Referent, Live-Moderator und seit mehreren Jahren Lehrbeauftragter für Journalismus-Grundlagen und Textkompetenz an Universitäten und Hochschulen.
Dieser Text ist auch im Magazin „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ erschienen. Sie können das Heft für 14,90 EUR bei iRights.Media bestellen. „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ gibt es auch als E-Book, zum Beispiel bei Amazon*, beim Apple iBook-Store* oder bei Beam (* Affiliate-Link)