Die deutsche Nationale Kontaktstelle der OECD, angesiedelt beim Bundeswirtschaftsministerium, hat eine Beschwerde von Nichtregierungsorganisationen gegen das Münchener Überwachungstechnologie-Unternehmen Trovicor GmbH in den meisten Punkten zurückgewiesen. Die NGOs bleiben bei ihren Vorwürfen.
Reporter ohne Grenzen (ROG), das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Privacy International, das Bahrain Center for Human Rights und Bahrain Watch werfen Trovicor vor, dafür mitverantwortlich zu sein, dass Oppositionelle und Dissidenten in Bahrain festgenommen, verhaftet und gefoltert wurden.
OECD-Beschwerde soll Firmen anhalten, keine Menschenrechte zu verletzen
Um gegen solche Praktiken vorzugehen, gibt es die so genannte OECD-Beschwerde. Die Mitgliedsstaaten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) haben Leitsätze für multinationale Unternehmen entwickelt, die die Firmen anhalten, keine Menschenrechtsverbrechen direkt durch eigenes Handeln zu begehen. Darüber hinaus sollen Unternehmen in Fällen, in denen andere Täter Menschenrechte verletzen, negative Auswirkungen ihrer eigenen Geschäftstätigkeiten auf die Rechte Dritter verhindern und diesen begegnen. Unternehmen sollen also nicht nur nicht zu Menschenrechtsverletzungen Dritter beitragen oder diese fördern, sondern sich vielmehr bemühen, negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit zu verhüten und zu mindern.
Die am 6. Februar eingereichte Beschwerde zielte darauf ab, Trovicors Verträge mit Bahrain und anderen autoritären Staaten offenzulegen, auf ihre Menschenrechtsverträglichkeit zu prüfen und falls nötig zu kündigen.
NGOs: Vorwürfe hinreichend belegt
In der aktuellen Entscheidung sollte die Nationale Kontrollstelle (NKS) der OECD darüber befinden, ob sie die Beschwerde annimmt, um zu prüfen, ob die Vorwürfe stimmen. Das hat sie nicht getan, sondern nach Auskunft von Reporter ohne Grenzen vorgeschlagen, ein Mediationsverfahren zum Risikomanagement von Trovicor zu organisieren, bei dem aber auf die konkreten Anschuldigungen zu Bahrain nicht eingegangen werden dürfte, da sie nicht hinreichend belegt seien.
Das Mediationsverfahren lehnen die NGOs ab. Ihrer Meinung nach ist der Vorwurf, der bahrainische Geheimdienst habe Oppositionelle und Journalisten mit Hilfe von Trovicor-Technik überwacht und verfolgt, ausreichend nachgewiesen. „Gerade bei vertraulichen Geschäften wie im Bereich der Überwachungstechnologie kann man den Opfern schwerster Menschenrechtsverletzungen keine lückenlose Beweispflicht auferlegen“, sagte Miriam Saage-Maaß vom ECCHR. „Wenn man die Messlatte so hoch anlegt, verliert das OECD-Beschwerdeverfahren seinen Sinn.“
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr ergänzt, die „Ablehnung unserer Beschwerde gegen Trovicor ist eine Enttäuschung, aber sie wird den Kampf gegen digitale Waffen nicht stoppen“, denn international setze sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass der grenzenlose Einsatz digitaler Überwachungstechnik eine Gefahr für Pressefreiheit und andere Menschenrechte darstelle.“
Erst vor kurzem wurden Überwachungstechnologien in das Wassenaar-Abkommen für Waffenexportkontrollen einbezogen.
Beschwerde gegen Gamma International in Großbritannien angenommen
Mihr sagte weiter, bislang habe die Annahme einer OECD-Beschwerde niemals eine Entscheidung über die Wahrheit der Vorwürfe dargestellt, sondern nur anerkannt, dass die Vorwürfe die OECD-Leitsätze berühren. In diesem Sinne hatte die britische Nationale OECD-Kontaktstelle Ende Juni eine parallele Beschwerde gegen das Unternehmen Gamma International zur vertieften Prüfung angenommen.
[UPDATE 20. Dezember 2013, 16 Uhr] Das BMWi hat auf Anfrage von iRights.info auf die Kritik der NGOs geantwortet:
Die Nationale Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen hat die Beschwerde gegen die Trovicor GmbH nicht abgewiesen.
Die Beschwerde wurde bezüglich des Vorwurfs der Unterlassung einer Risikoanalyse auf etwaige negative Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte zur eingehenderen Prüfung angenommen. Hinsichtlich des Vorwurfs der Mitverantwortung für Menschenrechtsverletzungen in Bahrain wurde die Annahme zur eingehenderen Prüfung abgelehnt, da Geschäftsbeziehungen der Trovicor GmbH zu Bahrain nicht feststehen. Es erfolgte somit eine Teilannahme. Die Entscheidung erfolgte unter Beteiligung anderer betroffenen Bundesministerien (Auswärtiges Amt, Bundesministerium der Finanzen, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit).
Das Beschwerdeverfahren vor der Nationalen Kontaktstelle erfordert keine gerichtsfesten Beweise. Die Beschwerde muss aber schlüssig und hinreichend substanziiert darlegen, dass der Anwendungsbereich der OECD-Leitsätze betroffen ist und ein Verstoß vorliegen könnte. Der Vortrag der Beschwerdeführer und die Unterlagen, auf welche die Beschwerde verweist, belegten nach Auffassung der Nationalen Kontaktstelle nicht hinreichend, dass die Trovicor GmbH tatsächlich im maßgeblichen Zeitraum Geschäftsbeziehungen zu Bahrain unterhielt. Der Vorwurf der Mitverantwortung der Trovicor GmbH für Menschenrechtsverletzungen in Bahrain konnte deshalb nicht zur eingehenderen Prüfung angenommen werden.
Die Nationale Kontaktstelle bietet den Parteien ein neutrales Diskussionsforum an, um zu einer einvernehmlichen Lösung der angesprochenen Fragen beizutragen.
Wir bitten um Verständnis, dass das BMWi nicht zu Einzelheiten der Beschwerde Stellung nehmen kann. Bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens ist von allen Beteiligten einschließlich der Nationalen Kontaktstelle Vertraulichkeit zu wahren.
ROG-Geschäftsführer Mihr dazu: „Die Stellungnahme der NKS ist insofern verwunderlich, als Trovicor unseren Angaben, dass die Firma Geschäftsbeziehungen zu Bahrain unterhält, nie widersprochen hat – oder uns dieser Widerspruch zumindest von der NKS nie zur Kenntnis gegeben wurde.“
Offenlegung: Matthias Spielkamp ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied des Reporter ohne Grenzen e.V.